Was das neue Elektroauto mit der Historie zu tun hat

MG 4 und MGB Foto: Autoren-Union Mobilität/MG
MG 4 und MGB Foto: Autoren-Union Mobilität/MG

Chinesische Automarken drängen auf den deutschen Markt, darunter Namen wie Aiways, Lynk & Co, Nio, Wey und MG. Moment! MG ist chinesisch? Die Frage ist berechtigt: Die englische Traditionsmarke steht seit fast 100 Jahren vor allem für erschwingliche Roadster und sportliche Limousinen. Ausgerechnet mit dieser Marke will der größte chinesischer Autobauer SAIC nun den deutschen Markt erobern. Kann das gut gehen?

Wie es dazu kam, dass die 1923 gegründete Marke MG in chinesische Hände gelangte, hat viel mit dem dem Niedergang der britischen Automobilindustrie zu tun – und mit dem Debakel, das BMW bei Rover erlebte. Aus dem Ausverkauf der bankrotten Rover-Gruppe kam MG 2005 in in die Hände der Chinesen. In der SAIC-Zentrale in Shanghai wurde der Plan geboren, mit der englischen Marke den Weltmarkt zu erobern.

Die Marke mit dem Achteck galt nach dem Rover-Zusammenbruch als die noch am wenigsten beschädigte. Und es ist die einzige, die nach dem Verkauf von Rover den Chinesen mitgegeben wurde. Der Rest der alten britischen Auto-Herrlichkeit wie Morris, Austin oder Triumph lagert im Archiv von BMW, und auch Rolls-Royce wird von dort geführt. Jaguar und Land Rover gehören zur indischen Tata-Gruppe, Bentley zu VW. Selbst der Hersteller der Londoner Taxis gehört inzwischen der chinesischen Geely-Gruppe.

Nun können sich nur noch die Älteren daran erinnern, wofür MG einmal stand. Ursprünglich war die „Morris Garage“ (MG) die Niederlassung von Morris in Oxford. Deren Chef Cecil Kimber machte sich 1924 daran, aus den soliden Morris-Modellen sportliche Fahrzeuge und Rennwagen für Privatfahrer zu bauen. Und weil die meisten Komponenten aus dem Teileregal von Morris stammten, waren die MG – verglichen mit anderen Sportwagen – erstaunlich erschwinglich.

Höhepunkt dieser Entwicklung war der von 1962 bis 1980 gebaute MGB. Ein kleiner Sportwagen, als Roadster und Coupé angeboten, mit vier Zylindern und 95 PS ausreichend motorisiert, um junge Fans in Europa und Nordamerika zu gewinnen. Mit mehr als 500 000 gebauten Exemplaren war er der meistverkaufte Sportwagen seiner Zeit (Anm.: Der Autor fährt seit 1994 einen MGB, Baujahr 1963).

Das aktuell jüngste Modell der Marke, der vollelektrische MG 4, mag auf den ersten Blick so gar nicht zur Historie passen. Auf den zweiten Blick gibt es dann doch Parallelen: Der kompakte Crossover kostet zwischen 31.990 Euro und 38.000 Euro. Damit bleibt der Kompaktwagen rund 10.000 Euro unter dem Preis des ähnlich großen VW ID 3.

Schon der MGB von 1962 konnte mit einem günstigen Preis punkten: Bei der Markteinführung war er mit 11.470 DM deutlich günstiger als ein vergleichbarer Porsche, der mit 15.700 DM beim Händler stand. Und bei Produktionsende des MGB 1980 kostete ein Alfa Romeo Spider 2000 DM mehr.

Eine weitere Parallele mit dem Urahn: Mit seinem Heckantrieb lässt sich der elektrische MG4 auch sportlich bewegen. 7,7 Sekunden von 0 auf 100 km/h sind zwar keine Sportwagen-Werte, aber eine flotte Fahrweise ist dank straffer Federung, niedrigem Schwerpunkt und gutem Handling dennoch möglich. Das Design des MG 4 unterstricht dies noch: Die sehr flache Batterie im Wagenboden macht eine nur 1,50 Meter hohe, aber zwei Meter breite Karosserie möglich.

So wie sich MG einstmals bei Morris bedient hat, greift der neue Eigentümer SAIC tief ins deutsche Teileregal. Schließlich ist Volkswagen der größte Produktionspartner von SAIC in China. Die Lenkung stammt von Bosch, die ordentliche Bremse von Continental.

Wenn der MG 4 auch kein Sportwagen ist, zumindest einen historischen Markenkern bedient das Modell: attraktive Autos zu einem erschwinglichen Preis anzubieten. Aber auch an die Roadster- und Sportwagen-Tradition wollen die Chinesen anknüpfen. Zum hundertjährigen Geburtstag des ersten gebauten MG, im Jahr 2024, soll es wieder einen Roadster mit dem Achteck auf der Haube geben. Vermutlich zu einem sehr erschwinglichen Preis. (Guido Reinking/cen)